Kinder unter Stress – jetzt sind die Eltern gefragt

Vor Kurzem habe ich in einem Artikel gelesen, dass sich die Strukturen, die wir unseren Kindern vorleben, auch auf deren späteres Leben auswirken. Das klingt nur logisch, sind wir Menschen doch von Natur aus Nachahmer und insbesondere Kinder orientieren sich an den Eltern. Das hat mich zum Nachdenken gebracht und dazu inspiriert, mich einmal mit dem Thema Stress bei Kindern auseinanderzusetzten, denn nicht nur eingespannte Managerinnen und Manager oder voll ausgelastete Führungspersonen stehen unter Stress – heute leiden bereits Kita-Kinder darunter.

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Gerne möchte ich Sie einladen, gedanklich mit mir Familie Kraft zu besuchen. Mutter Erika ist leitende Angestellte in einem Büro, Vater Hendrik arbeitet als Ingenieur in einem mittelständischen Unternehmen. Tochter Emilia ist 2 Jahre alt und Sohn Sebastian besucht mit seinen 6 Jahren die erste Klasse der Grundschule.

Ein ganz „normaler“ Tag

Da sowohl Erika als auch Hendrik arbeiten, beginnen die Tage meist schon stressig. Die Kinder werden geweckt und es gibt erstmal eine Diskussion darüber, welche Kleidung zum Wetter passt. Emilia besteht auf ihre neuen Sandalen und Sebastian möchte am liebsten mit dem Schlafanzug zur Schule. Währenddessen verbrennen die Aufbackbrötchen im Ofen und dann klingelt auch noch die ältere Nachbarin Inge in aller Frühe und fragt, ob die Familie ihr nicht nachher noch etwas einkaufen könne. Hektik und Stress brechen aus – schnell werden die Kinder ins Auto gesetzt und in der Kita und Schule abgeliefert. Und mit einiger Verspätung erreichen auch die Eltern ihren Arbeitsplatz, an dem ein neuer, anderer Stress weitergeht. Aufgrund unseres Lebensstils in der heutigen Welt ist Stress für uns normal geworden und gerade die Doppelrolle, die berufstätige Eltern einnehmen, ist sehr herausfordernd. Fakt ist, dass Stress zu unserem Alltag dazugehört. Was für uns Erwachsene etwas ganz Normales zu sein scheint, war bis vor einiger Zeit für Kinder noch undenkbar. Ein gestresstes Kind – gibt es sowas überhaupt?

Gestresste Kinder – und wie sie sich verhalten

Nach der Schule bzw. Kita geht es bei den Kindern von Familie Kraft mit dem Freizeitprogramm weiter: Tanzgruppe, Fußballtraining, Klavierstunden, Malkurs usw. Kaum eine Stunde, die nicht ausgefüllt ist. Schließlich ist es wichtig, in der heutigen Gesellschaft mit Leistung zu punkten, um nicht abgehängt zu werden. Das führt tatsächlich schon bei vielen Grundschülern zu Stress. Hinzu kam noch die Corona-Lage, die viele Familien in Sachen Homeschooling und Kontaktbeschränkungen vor ganz neue Herausforderungen stellte und auch eine psychische Belastung für Kinder und Jugendliche war. Die im Februar 2022 veröffentlichte COPSY-Studie[1] der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf hat die Situation genauer beleuchtet und stellte fest, dass trotz geöffneter Schulen und nun wieder zugänglicher Freizeitangebote die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die sich durch die Corona-Pandemie psychisch belastet fühlen, weiterhin hoch sei. Viele Kinder, die unter Stress leiden, fühlen sich unwohl, sind nervös oder ängstlich. Manche ziehen sich zurück, sind teilnahmslos, leiden unter Appetit-, Schlaf- und allgemeiner Lustlosigkeit sowie Kopf-, Bauchschmerzen oder Übelkeit. Weitere Anzeichen für eine zu starke Belastung sind Reizbarkeit, Unruhe oder Aggressivität. Treten diese Reaktionen kurzzeitig auf, z. B. wenn eine schwere Klassenarbeit ansteht, ist das normal, doch sind die Symptome dauerhaft, sind Eltern gefragt zu handeln. Leider war Familie Kraft nicht bewusst, dass ihre Kinder, insbesondere Sebastian, gestresst waren, und sie wurden häufig lauter und wussten sich nicht zu helfen, was zu noch mehr Stress bei dem Jungen führte – ein Teufelskreis, den es zu durchbrechen gilt. 

Tipps, die Kindern den Stress nehmen

Ich bin selbst Vater und weiß daher, dass wir als Eltern nicht in der Lage sind, unseren Kindern ein vollkommen stressfreies Leben zu gewährleisten. Was wir jedoch tun können, ist, unseren Kindern zur Seite zu stehen und ihnen zu helfen, mit ihren Herausforderungen fertig zu werden. Wir sind Vorbilder für unsere Kinder und die Art, wie wir mit Stress umgehen, prägt auch sie. Ganz lässt sich der Stress bei Kindern nicht vermeiden, aber es gibt einige Tipps, die dem Stress entgegenwirken und den Kindern helfen, besser damit umzugehen.

Tipp 1: Nicht jede Herausforderung ist Stress

Als Eltern stehen wir vor der großen und großartigen Aufgabe, unsere Kinder für ein selbstständiges Leben zu rüsten. Das bedeutet auch, dass wir ihnen nicht alle Herausforderungen abnehmen sollten. Es ist wichtig, dass unsere Kinder lernen, auch fordernde oder anstrengenden Situationen zu bewältigen. Sich durch den Berg Hausaufgaben arbeiten, ein Referat vorbereiten, einen Streit mit Freunden beilegen – es ist wichtig, dass Kinder lernen, mit solchen Belastungen umzugehen. Wir sollten ihnen dabei stets das Gefühl geben, dass sie mit ihren Problemen fertig werden und im Hintergrund den nötigen Rückhalt geben. Außerdem sollten Eltern ihren Kindern zeigen, dass nicht jede Herausforderung gleich negativen Stress bedeutet, indem sie mit gutem Beispiel vorangehen und selbst in stressigen Situationen nicht in Panik verfallen.

Tipp 2: Freiraum schaffen

Bei vielen Kindern sieht der Terminplan ähnlich aus wie bei Familie Kraft und ist manchmal bis auf die letzte Minute prall gefüllt. Den Kindern bleibt oft wenig bis gar keine Zeit, sich mit Freunden zu treffen und Spaß zu haben oder einfach mal „nichts“ zu machen. Deshalb lohnt sich ein kritischer Blick auf den Kalender: Woran hat das Kind wirklich noch Freude? Lassen sich manche Termine in größeren Abständen planen? Es ist wichtig, mit den Kindern darüber zu sprechen und für genügend wirkliche Freizeit zu sorgen.

Tipp 3: Zuhören und ernst nehmen

Viele Erwachsene tendieren dazu, ihre Kinder nicht ernst zu nehmen und ihre Probleme herunterzuspielen. Selbstverständlich sind die Herausforderungen der Kinder für viele Erwachsene leicht zu lösen oder nicht von großer Relevanz, aber für die Kleinen ist es eine ernstzunehmende Sache. Wir sollten unseren Kindern zuhören, und damit meine ich wirklich zuhören, was sie belastet und Verständnis dafür zeigen.

Tipp 4: Pflichten gehören zum Leben

Wir alle wissen meist noch zu gut, wie lästig es war, das eigene Zimmer aufzuräumen oder im Haushalt zu helfen. Es gibt mit Sicherheit schönere Beschäftigungen, aber dennoch gehören gewisse Pflichten zum Leben dazu – das sollten auch unsere Kinder lernen. Wir als Eltern sind dann wiederrum in der Pflicht, ihnen Wege und Möglichkeiten zu zeigen, wie sie damit am besten umgehen. Wir können zum Beispiel gemeinsam einen Plan erarbeiten, wie das Zimmer am besten aufgeräumt wird und gemeinsame Strukturen aufbauen, die dem Kind helfen, stressfrei durch den Alltag zu kommen.

Kinder sollten Kinder sein dürfen

Meine Bitte an alle Eltern: Lasst die Kinder so lange wie möglich Kind sein. Diese Zeit kommt nie wieder zurück und sollte auch aus Spielen, Spaß und Unbeschwertheit bestehen. Geben Sie Ihren Kindern gute Werte mit auf den Weg und ein Zuhause, in welchem es sich wohlfühlt. Mein Sohn, der mittlerweile fast schon erwachsen ist, geht beispielsweise ganz oft gar nicht weg, weil er sich zu Hause wohlfühlt. Er lädt lieber seine ganzen Freunde zu uns ein und die fühlen sich hier wohl. Und auch meine Freunde, Familie Kraft, haben es sich zur Aufgabe gemacht, den Stress bei ihren Kindern zu reduzieren, und auch selbst mit guten Strukturen ein stressfreieres Leben zu führen.

Haben auch Sie Kinder und einen vom Stress geprägten Alltag? Gerne helfe ich mit neuen Strukturen, nicht nur Ihren und den Stress Ihrer Kinder zu reduzieren, sondern auch, Ihre Beziehung zu stärken. Lassen Sie uns gerne gemeinsam ins Gespräch kommen.

 

[1]https://www.uke.de/kliniken-institute/kliniken/kinder-und-jugendpsychiatrie-psychotherapie-und-psychosomatik/forschung/arbeitsgruppen/child-public-health/forschung/copsy-studie.html